Adolf Grimme

Adolf Grimme

ZUR PERSON

Leitinformationen zu einer Ausstellung über das Leben und Wirken von Adolf Grimme

agi Marl | NDR | Marl, im August/September 1983

ADOLF GRIMME

„-Freiheit, Güte, Gerechtigkeit-“

Adolf Grimme war 56 Jahre alt und niedersächsischer Kultusminister, der 1946 diese Werte für die neu eröffnete Parteischule der SPD in Hannover formulierte.

Der Glauben an das Gute im Menschen, das Bemühen um Gerechtigkeit und das Wissen, daß die Freiheit der Gedanken die höchsten weltlichen Güter sind, hatten seinen Charakter und sein Leben jedoch immer geprägt.

SCHULE UND STUDIUM

Grimme wurde am 31. Dezember 1889 in Goslar geboren, absolvierte die Schule in Weferlingen, Sangershausen und Hildesheim und studierte in Halle, München und Göttingen. 1914 schloß er sein Studium mit dem Lehrerexamen in Philosophie, Germanistik, französischer Philologie und Religion ab. Ein Jahr später war er Studienassessor in Leer und schrieb vor dort an seine Mutter: „Er (Oberstudienrat Miller, je) hat richtig gesehen, wenn er von mir ein Verbleiben im Schuldienst einfach verlangt. Da liegt mein Glück (1915/5)

OBERSCHULRAT IN MAGDEBURG

Doch Grimme arbeitete nicht lange als Lehrer. 1921 wurde er ans Provinzialschulkollegium Hannover berufen, um sich in die Probleme der Schulverwaltung einzuarbeiten und sich dadurch für die Stelle eines Gymnasialdirektors zu qualifizieren. Er bewährte sich dort so hervorragend, daß der preußische Kultusminister Boelitz ihn zum Oberschulrat in Magdeburg ernannte, ohne daß er je Gymnasialdirektor war. Die Beschwerden zahlreicher Oberstudiendirektoren, die sich übergangen fühlten, beantwortete Boelitz damit, daß „die Jugend Studienrat Grimmes aufgewogen (wird) durch anerkannte Tüchtigkeit und geistige Bedeutung.“

In Magdeburg hatte Adolf Grimme erstmals Gelegenheit, in größerem Stil seine Vorstellungen von einer notwendigen Schulreform im Sinne einer freieren Unterrichtsgestaltung frei von den Zwängendes 19. Jahrhunderts zu realisieren.

Eine Aufgabe, die er auch 1945 als niedersächsischer Kultusminister noch als vordringlich verstand. Als er aufgefordert wurde für den ersten Reichsparteitag der SPD ein neues Kulturprogramm vorzulegen, schrieb er in einem Brief: „Ich finde, daß das eine sich einmalig bietende Chance ist, mit der Ideologie des 19. Jahrhunderts aufzuräumen…“ (1945/48)

BEKENNTNIS ZUR SOZIALDEMOKRATIE

Im Jahre 1920 war Grimme nach nur einjähriger Mitgliedschaft aus der DDP ausgetreten, „weil sie den von mir vertretenen Überwindungsideen des mechanistischen Demokratismus unzulänglich geblieben ist.“ (1920/9)

„Meine Wendung zum Sozialismus erfolgt aus religiösen Einsichten“ (1922/10) schrieb er 1922 zu seinem Eintritt in die SPD an den Vorsitzenden der SPD Ortsgruppe Hannover-Laatzen, und definierte Sozialismus 10 Jahre später: „Ist doch der Sozialismus in seiner immanenten Tendenz nichts anderes als der aus dem bloßen Reich des ideellen Seins und der‘ Gesamtwirklichkeit gewandte Humanismus, sozusagen die realidealistische Phase der deutschen Humanitätsidee.“ (1932/34)

WERDEGANG VOR DER MACHTERGREIFUNG

Zwischen 1928 und 1930 war Adolf Grimme Ministerialrat im preußischen Kultusministerium und Vizepräsident des Provinzialschulkollegiums von Berlin und der Mark Brandenburg, 1930 schließlich wurde er preußischer Minister für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung. Im März 1932 überreichte Reichspräsident v. Hindenburg Grimme „in Anerkennung Ihrer Verdienste um die Förderung der deutschen Wissenschaft und Kunst und zum Dank für Ihre Mitwirkung bei der Ausgestaltung der Goethe-Jahrhundertfeier die Goethe Medaille für Verdienste um Wissenschaft und Kunst. “

AMTSENTHEBUNG DURCH REICHSPRÄSIDENT V. PAPEN

Genau vier Monate später erhielt er sein Entlassungsschreiben aus dem preußischen Staatsdienst, unterzeichnet von Reichskanzler v. Papen.

„Nachdem Sie mir mit Schreiben vom heutigen Tag (20. Juli) mitgeteilt haben, daß Sie es ablehnen, der von mir erlassenen Einladung zu einer Sitzung der Staatsregierung Folge zu leisten, enthebe ich Sie kraft der mir durch die Verordnung des Herrn Reichspräsidenten v. 20. Juli 1932 erteilten Vollmacht von der Führung der laufenden Geschäfte des preußischen Ministers für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung.“

ARBEITSLOS UND KALTGESTELLT

Mit Hitlers Machtergreifung war Grimme jeder weitere berufliche Weg versperrt. Er blieb in Berlin, studierte Sprachen im Selbststudium und arbeitete an einem groß angelegten Kommentar des Johannes-Evangeliums. Nach einer Zeit der Arbeitslosigkeit fand Grimme mit viel Mühe Arbeit in einem Verlag. Er verdiente dort 90 Mark monatlich durch das Lesen von Korrekturfahnen. Eine stumpfsinnige Arbeit, die ihn sehr ermüdete, doch selbst ihr gewann er auch positive Seiten ab:

„Bislang habe ich an der Verbesserung der Schicksalssituation des Proletariats aus ehrlich aufgewühltem Nacherleben heraus mitzuarbeiten gesucht; jetzt erfahre ich, obwohl immer doch aus eigenem Erleben, was es eigentlich heißt, Proletarier zu sein.“ (1933/41)

Darüber hinaus lebten Grimme, seine Frau und seine Kinder von Ersparnissen und der finanziellen Hilfe von Freunden.

Nach wie vor diskutierte Grimme mit Gleichgesinnten das politische Schicksal Deutschlands. Obwohl er die katastrophale Zukunft richtig einschätzte, wollte er das Land zunächst nicht verlassen, lehnte Einladungen von Freunden im Ausland ab.

„Ich habe das Fortgehen der Männer, die an sichtbaren Stellen gestanden haben, von Anfang an für ein Verhängnis gehalten … ich werde das Gefühl nicht los, daß es nicht gleichgültig ist, von welchem geographischen Standpunkt aus – denn es ist nie nur geographisch – der Einzelne der Zeit und dem schicksalsmäßigen Geschehen begegnet.“ (1933/41)

Als ihm 1935 angeboten wurde, als Berater des Ministers für das Erziehungswesen nach Kolumbien zu gehen, wurde er allerdings schwankend, empfand er doch „gerade eine derartige Aufgabe als eigens für meine Neigungen und Vorbildung gestellt.“ (1935/43)

Er mußte trotzdem ablehnen, denn er konnte nicht damit rechnen, die staatliche Erlaubnis für diese Tätigkeit zu erhalten, da dann im Ausland der Eindruck entstehen könne, er vertrete seine Meinung im Einverständnis mit den amtlichen deutschen Stellen.

VERHAFTUNG UND PROZES

Im Herbst 1942 fand die Gestapo bei einer Haussuchung in Grimmes Wohnung in Berlin ein Flugblatt von A. Harnack, das zu seiner Verhaftung führte.

„Weswegen ich verhaftet war, ist mir nie vor dem Zeitpunkt des Termins beim Reichskriegsgericht mitgeteilt worden… In dem Prozeß hineingeraten bin ich wegen meines Verkehrs mit Dr. Adam Kuckhoff, mit dem mich seit über 30 Jahren – seit den frühesten Tagen meiner Studentenzeit eine enge Freundschaft verband. Durch ihn bin ich auch mit Dr. Arvid Harnack bekannt geworden. Mit beiden habe ich seit etwa einem halben Jahr vor meiner Verhaftung manches Gespräch geführt, das aus der gemeinsamen oppositionellen Haltung gegenüber dem Hitler-Regime bestritten wurde. Daß ich selbst Kommunist gewesen sei, hat bei der mündlichen Urteilsbegründung der Vorsitzende ausdrücklich als nicht zutreffend bezeichnet. Meine Verurteilung ist dann auch nicht wegen Hochverrats erfolgt, sondern lediglich wegen Nichtanzeige eines Vorhabens des Hochverrats“.

Das Urteil lautete auf drei Jahre Zuchthaus und zusätzlich drei Jahre Ehrverlust.

JAHRE IM ZUCHTHAUS

Während der Untersuchungshaft war Adolf Grimme im Reichssicherheitshauptamt in der Prinz-Albrecht-Straße in Berlin untergebracht. Die Haftzeit nach dem Urteil im Februar 1943 verbrachte er zunächst im Zuchthaus Luckau, Berlin, und ab November 1944 in Hamburg-Fuhlsbüttel.

In den Briefen an seine Familie, die Grimme aus der Gefangenschaft schrieb, äußerte er sich bewußt optimistisch und die Situation verklärend. Nur durch das Lesen zwischen den Zeilen ließ sich erahnen, unter welch unwürdigen Umständen er leben mußte. Für eine Fleischsendung bedankte er sich 1943 bei seiner Mutter mit den Sätzen:

„O, wie braucht der unverwöhnte Bauch das gute Essen, das Fleisch ist noch tadellos, obenauf Schimmel, aber der liegt darauf, wie bei vielen Menschen die Gesinnung; man braucht nur leicht einzukratzen und die Natur zeigt sich ungeschminkt.“ (S. 69)

Über seinen Berliner Zellengenossen schrieb Günther Weisenborn:

„Er fand immer einen Grund zu lächeln. Nein, es war nicht so sehr ein lautes Lachen, eher ein helles und recht breites Lächeln, von dem er nicht ließ, trotz allen Elends … Es hatte etwas unendlich Abenteuerliches diesen sehr dünnen, mit Zuchthauslumpen behängten und unrasierten Philosophen zu sehen … Es waren keine Luftschlösser, die er baute, es waren eher Luftbibliotheken, die er betrat… Und er zeigte mir die Landschaft, in der sich das Johannes-Evangelium befand, eingefügt zwischen himmelhoher Offenbarung und sehr niederer Erde… Grimme sorgte stets dafür, daß andere Menschen durch ihn mutiger wurden.“ (S.57f)

Die Beschäftigung mit dem Johannes-Evangelium fesselte seine Gedanken im Gefängnis, sie ließ ihn überleben, bis er nach der britischen Besetzung Hamburgs aus dem Zuchthaus Fuhlsbüttel befreit wurde.

BEFREIUNG

Das erste Wiedersehen Grimmes mit seinen Freunden schilderte Hinrich Landahl, seit 1945 Senator und Präsident der Kultur- und Schulbehörde in Hamburg.

„An einem der, ersten Tage, an dem wir wenigstens tagsüber auf die Straße durften, versammelte sich ein kleiner Freundeskreis in der Wohnung v. W. M. am Mittelweg … Dann öffnete sich die Tür, und Peter Zylmann (Freund Grimmes und Schwiegervater von dessen Tochter Liselotte) führte Adolf Grimme herein, den er eben vorher am Gefängnistor in Fuhlsbüttel abgeholt hatte. Da stand der 55-jährige nach drei Jahren Gefängnis unter uns. Die ungesunde Blässe seines Gesichts, die schwerfälligen Bewegungen seines Körpers verschlugen uns für wenige Augenblicke die Sprache. Aber dann war es doch wie ein tiefes Aufatmen.“ (Aus: Wirkendes, sorgendes Dasein, Berlin 1959, S. 68, Hrsg. Walther G. Oschilewski)

DIE „STUNDE NULL“ KONTINUITÄT DES DENKENS UND HANDELNS

Viel Zeit zum Erholen blieb Adolf Grimme nicht. Schon drei Monate nach seiner Befreiung, am 1. August 1945 wurde er zum kommissarischen Regierungsdirektor der Provinz Hannover ernannt, und mit der Leitung der Abteilung für das höhere Schulwesen betraut.

In dem Brief an den ehemaligen preußischen Minister für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung hieß es weiter:

„Auf Anordnung der Militärregierung habe ich Sie davon zu verständigen, daß diese Ernennung nicht als dauernd anzusehen ist, sondern daß Ihre Belassung im Amt von der befriedigenden Erfüllung Ihrer Pflichten abhängen wird“

Adolf Grimme erfüllte ein Jahr lang seine Pflichten offenbar so zufriedenstellend, daß ihn der niedersächsische Ministerpräsident Hinrich Wilhelm Kopf am 23.11.1946 zum niedersächsischen Minister für Volksbildung, Kunst und Wissenschaft ernannte. Grimme arbeitete hart, viel und gerne:

„Ich bin durch diese arge Zeit trotz allem hindurchgekommen und bin im Grunde jeden Tag aufs Neue erstaunt, daß es unsereins physisch überhaupt noch möglich ist und noch dazu mit mehr Schwung, als ich je noch von mir erwartet hätte, die unterbrochene Arbeit weiterzuführen … Die innere Freudigkeit, zu dem Tag einfach schon deshalb Ja zu sagen, weil man ihn noch erlebt, tut dazu das ihre.“ (1946/74)

Er setzte tatsächlich die Arbeit fort, aus der er 1932 durch seine Entlassung herausgerissen worden war. Er beschäftigte sich mit der Lehrerausbildung, der Schulreform, dem Wiederaufbau der Kultur und der Wissenschaft.

An seinen humanistischen Grundsätzen festhaltend fiel es ihm schwer, zu akzeptieren, daß seinem Ressort nicht die größte Bedeutung in der Nachkriegszeit geschenkt wurde:

ERZIEHUNG

„Auf das entscheidende Ziel hin gesehen kann man sagen, , daß alle Fragen aller Ressorts ihren letzten Sinn überhaupt erst vom Erziehungsort erhalten; denn was würde es uns nützen wenn die Menschen allesamt in englischen Stiefeln und russischen Juchten herumliefen und wohl genährt unter einem Dach schliefen, aber wären nicht die Charaktere, die Deutschland und Europa für ihre Zukunft brauchen.“ (S. 93)

GENERALDIREKTOR DES NWDR

Adolf Grimme blieb nur drei Jahre im niedersächsischen Staatsdienst, Verhandlungen mit Repräsentanten und Funktionären lagen ihm nicht, die Mißachtung seines Ressorts und der Föderalismus in der Bundesrepublik ließen ihn 1948 resignieren. (vgl. S. 93f) Er nahm seine Wahl zum Generaldirektor des Nordwestdeutschen Rundfunks (NWDR) an.

Die Briten hatten gleich nach Kriegsende begonnen, in ihren Besatzungszonen Nordrhein-Westfalen, Niedersachsen, Schleswig-Holstein, Hamburg und ihrem Berliner Sektor einen Rundfunk-Sender nach dem Vorbild der BBC aufzubauen. Mit Sitz in Hamburg und Funkhäusern in Köln, Berlin und Hannover sollte dieser Sender wieder zu einem demokratischen Informationsmedium für die Bevölkerung werden.

Am 30. Dezember 1947 wurde das Rundfunkstatut für den NWDR feierlich in deutsche Hände übergeben. Am 12.3.1948 konstituierte sich der 16-köpfige Hauptausschuß – paritätisch nach den politischen Mehrheitsverhältnissen in den Ländern besetzt -, dem Adolf Grimme als Vertreter des Erziehungswesens angehörte. Der Hauptausschuß wählte aus den eigenen Reihen die sieben Mitglieder des Verwaltungsrats, dessen Vorsitz Adolf Grimme übernahm. Am 8. September 1948 wurde er einstimmig zum Generaldirektor des NWDR gewählt. Adolf Grimme, inzwischen Dr. h. c. der Philosophischen Fakultät der Georg-August-Universität Göttingen, nahm die Entscheidung des Verwaltungsrates an, aber:

„Der Entschluß ist mir nicht leicht gefallen, weil ich mir klar bin, was ich aufgebe. Andererseits ist es mir erleichtert dadurch, daß ich immer stärker den verhängnisvollen Rückschlag auf die Kulturpolitik der einzelnen Länder verspüre, den der überspitzte Föderalismus hervorruft. Es ist geradezu, als wenn unsere „Politiker“ von dem Begriff des Föderalismus so hypnotisiert wären, daß sie seine Notwendigkeit gar nicht mehr ernsthaft in die Diskussion ziehen… Der Rundfunk bietet sich dagegen von Anfang an als ein überregionales Instrument.“ (1948/99)

Grimmes Absicht, als er die Generaldirektion des NWDR von dem englischen Kontrolloffizier Hugh Carleton Green übernahm, war, das Radio als umfassendes Volksbildungsinstrument zu nutzen, demokratische, humanistische und christliche Werte durch den Äther den Menschen in allen Volksschichten zu vermitteln. In seiner Antrittsrede am 15.11.1948 malte er sein Ziel aus:

„Was früher der Kamin war, wie einst die Petroleumlampe den Familienkreis vereinte, das muß im deutschen Haus der Rundfunk werden: der Mittelpunkt der inneren Sammlung.“

Obwohl Adolf Grimme Mitglied der SPD war, versuchte er auch in seiner Zeit als Generaldirektor wie schon als niedersächsischer Minister seinem damals bereits formulierten Grundsatz treu zu bleiben:

Der Minister, der, so gewiß er in einem demokratischen Staatwesen als ‚Exponent‘ einer bestimmten politischen Richtung nominiert gewesen ist, muß doch als frei entscheidende Persönlichkeit bei seinen Entscheidungen das ganze Volk vor Augen haben.“ (S. 93)

Dieses Prinzip übertrug er auch auf den Rundfunk:

„Ist doch der Rundfunk kein Instrument bestimmter Gruppen oder Mächte. Er ist ein Instrument des Dienstes am ganzen Volk … Er ist nicht selbst Partei.“ (Antrittsrede)

Das „Volksbildungsinstrument“ Rundfunk sollte Adolf Grimme nutzen, das Gute im Menschen zu fördern. Er sah in ihm ein „Instrument zur Volksformung und damit der Gestaltung unseres öffentlichen Lebens… Ihm kommt es zu, das im politischen Tageskampf verschüttete Verbindende ins Blickfeld und damit ins öffentliche Bewußtsein zu rücken“.

„…trotz der Grenze, die den Erwartungen gesetzt ist, und trotz aller Unterschiedlichkeiten in den Hörerwünschen gibt es berechtigte Erwartungen … Vielleicht nicht, wenn wir fragen, was die Hörer erwarten, sondern was sie erwarten sollten. So daß es sogar die vornehmste Aufgabe des Rundfunks wäre, diese berechtigten Erwartungen erst einmal zu wecken… Der Rundfunk darf deshalb, wenn er dieser seiner Sendung als Erzieher zum Qualitätsgefühl treu bleiben will, nicht der verführerischen Jagd nach Popularität verfallen. Wer gewillt ist, das Beste im Menschen anzusprechen, muß nun einmal zugleich den Mut zur Unpopularität besitzen.“ (Antrittsrede)

ANSPRUCH UND WIRKLICHKEIT

So begann Adolf Grimmes Arbeit im NWDR. Bei ihm liefen alle Fäden zusammen, die von den Intendanten und Programmverantwortlichen in den jeweiligen Funkhäusern in Köln, Berlin und Hamburg gesponnen wurden. In den gut sieben Jahren seiner Amtszeit verdreifachte sich die Sendezeit, die Zahl der Mitarbeiter stieg auf 3000 und der Etat wuchs von 66 auf 114 Millionen DM. Der Ultrakurzwellenfunk wurde entwickelt, der NWDR strahlte schließlich auf UKW, Lang- und Mittelwelle seine Programme aus. Seit Weihnachten 1952 gab es ein tägliches Fernsehprogramm. So zügig die technische Entwicklung voran schritt, so schwierig gestalteten sich die politischen Diskussionen im NWDR.

Die von den Engländern geplante und gewünschte Überparteilichkeit des Rundfunks ließ sich angesichts der deutlich ausgeprägten parteipolitischen Interessen im Hauptausschuß und im Verwaltungsrat nicht durchhalten.

Der FDP-Abgeordnete Mende zitierte 1951 einen Rundfunkkommentator:

„Die eine politische Partei hält uns das linke Nasenloch zu, die andere das rechte, die dritte den Mund, der Verwaltungsrat hält uns die Hände fest und dann sollen wir noch arbeiten.“ (zit. nach D. Schaaf: Politik und Proporz im NWDR, Diss. Hamburg 1971, S. 74)

Die Intendanten im Funkhaus Hamburg wechselten in rascher Folge. Die kommissarische Leitung Herbert Blanks von Mai 1949 bis Januar 1950 führte zu zahlreichen Protesten und Kündigungen in den Redaktionen.

Die Ablehnung Blanks entstand einerseits dadurch, daß er die mit Sparmaßnahmen begründeten Kündigungen einiger Redakteure durch die Generaldirektion unterstützte, und andererseits durch die in zwei Zeitungsartikeln begründeten Vorwürfe, Blank sei unter Pseudonym Verfasser nationalsozialistischer Literatur und Strasser-Anhänger gewesen. (Kurt Hiller: „Streit um Hamburgs Intendanten“, Die neue Zeitung, 9.4.49 und ders. „Der Blank Skandal im NWDR“, Neuer Vorwärts, 4.6.49)

Grimme verhielt sich in dieser Situation nicht eindeutig. Er ignorierte das gegen Blank ausgesprochene Mißtrauen durch die Personalversammlung und fand sich so im Mittelpunkt einer Pressekampagne wieder, die sich vor allem gegen die Personalpolitik des NWDR richtete.

Nach dem sog. „Blank-Skandal“ folgten Streitigkeiten um eine vom Verwaltungsdirektor Wirtz erteilte Ausfallbürgschaft für den Film „Liebe 47“, mit der dieser seine Kompetenzen überschritten haben soll. Die Auseinandersetzungen um diesen Punkt führten schließlich zu Differenzen zwischen Adolf Grimme und dem Verwaltungsratsvorsitzenden Prof. Heinrich Raskop, CDU, der im November 1950 als Berater in Rundfunkfragen des nordrhein-westfälischen Ministerpräsidenten Arnold abberufen wurde, und damit aus dem Verwaltungsrat ausschied.

BESTÄTIGUNG IM AMT

1952 schrieb Grimme an Lina Meyer-Kulenkampff:

„Ich zähle … die Monate bis zum Ablauf meiner Amtsperiode. Mich erneut zur Wahl zu stellen, möchte ich seit langem nicht mehr. Denn ich sehe, daß ich mich an einer Arbeit aufreibe, die auch ein anderer tun kann, während ich zu dem nicht komme, was mir aufgegeben zu sein scheint und von dem ich in jedem bedrückenden Oktober 1942 weggeholt wurde. Die Entscheidung wird mir umso leichter, als ich mich nicht als politische Figur fühle, als solche aber genommen werde und dabei nun ständig erleben muß, daß mich die CDU als SPD-Mann bekämpft und die SPD mich in keiner Weise unterstützt.“

Trotzdem akzeptierte er seine erneute Ernennung zum Generaldirektor im November 1952 mit dem „Hinweis“, der – wenn nicht nur Floskel – aufgefordert war, seine Personalpolitik zu akzeptieren:

… Das mir damit erneut entgegengebrachte Vertrauen werte ich zugleich als einen Vertrauensbeweis des Verwaltungsrats auch gegenüber meinen Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen …“

In den folgenden Jahren wurden die Kräfte immer mächtiger, die zunächst in Berlin und dann auch in Nordrhein-Westfalen von Hamburg unabhängige Rundfunkanstalten aufbauen wollten.

„CUIUS REGIOEIUS RADIO“

Am 31. Mai 1954 erfolgte die offizielle Übergabe von Funkhaus, Welle und Vermögen vom NWDR Berlin an den neuen „Sender Freies Berlin“.

JEDEM LÄNDERCHEN SEIN SENDERCHEN (1956/175)

Am 1. Januar 1956 traten an die Stelle des NWDR der NDR für Niedersachsen, Schleswig-Holstein und Hamburg und der WDR für Nordrhein-Westfalen. Dieser Teilung des einst von Grimme so optimistisch betrachteten 11 überregionalen Instruments Rundfunk“ folgte sein Ausscheiden aus dem Amt als Generaldirektor. Er schrieb an den damaligen Vorsitzenden des Verwaltungsrats Dr. Karl Mohr (CDU)

„Nachdem Sie mir mit Schreiben vom 17. März mitgeteilt haben, daß die Zuständigkeit aller Organe des Nordwestdeutschen Rundfunks am 31.3.1956 erlischt, darf ich Sie der Ordnung halber davon in Kenntnis setzen, daß ich infolgedessen vom 1. April 1956 ab meine Tätigkeit als Generaldirektor des NWDR als beendet betrachte. “

Adolf Grimme – 1954 mit dem großen Verdienstkreuz mit Stern ausgezeichnet – ging nicht ohne Verbitterung. Zum zweiten Mal war er an den föderalistischer Bestrebungen in der neuen Bundesrepublik gescheitert. Wo er als niedersächsischer Kultusminister noch die große Chance überregionaler Kultur- und Bildungspolitik sah – im Rundfunk – mußte er nun auch dort die Macht der regionalen Interessenvertreter erkennen.

„Wenn ich bis heute den NWDR verwaltete, so geschah es, weil ich in ihm ein Instrument sah, das der unheilvollen innerdeutschen Zersplitterung entgegenwirken konnte… Es liefe meiner menschlichen und politischen Haltung zuwider, wollte ich meine Kraft, die seit je, wie auch immer, dem Aufbau gedient hat, nun dieser Zerschlagung leihen. Ich darf Sie daher bitten, mich zum 1.4.1955 von meinem Posten zu entbinden.“ (1954/144)

Diesen Brief an Dr. Karl Mohr schickte Grimme nie ab. Er entstand aufgrund seiner tiefen Enttäuschung über die Neugründung des SFB und die im Spätsommer 1954 sich bereits deutlich abzeichnende Zerteilung des NWDR. Grimme hielt das, was in diesen Jahren mit dem Nordwestdeutschen Rundfunk geschah „für symptomatisch für eine Zeit, in der mehr aufgelöst als verbunden wird.“ (1954/144)

„Ich habe (bei der feierlichen Auflösung des NWDR, je) keine Ansprache gehalten. Mir stand der Sinn nicht danach. Einmal im Hinblick auf den Schildbürgerstreich der verlogen begründeten Zerschlagung des NWDR nicht. Und dann, weil sich in diesem Akt gleichsam repräsentativ für die ganze Misere die deutsche Gegenwart spiegelt…“ (1956/162)

RUHESTAND

Adolf Grimme ging im Alter von 66 Jahren in den Ruhestand. Er zog gleich nach Beendigung seiner NWDR-Zeit von Hamburg nach Degerndorf am Inn, und kam dort wohl erstmals seit seiner Haftzeit ganz zur Ruhe. In der Zurückgezogenheit in den Voralpen südlich von München lebte er bis zu seinem Tode am 28. August 1963.

Er war nach wie vor Mitglied in verschiedenen Gesellschaften und Akademien, so der Stiftung Deutsche Landerziehungsheime Hermann-Lietz-Schule, der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung in Darmstadt, in der er ab 1957 auch Beiratsmitglied war, Ehrenmitglied der Deutschen Gesellschaft für Erziehung und Unterricht, München, Mitglied des P.E.N. und vielen anderen mehr. Vier Monate vor seinem Tod formulierte Adolf Grimme in einem Brief an seinen Enkel anläßlich dessen Taufe das Fazit seiner lebenslangen Auseinandersetzung mit dem Christentum und der Religion:

„Später, wenn Du groß bist … wirst Du verstehen, worin das Wesen der Gemeinschaft besteht, in die Du am 26. April 1963 aufgenommen wirst: daß nämlich das Christ-Sein eines Meschen nicht schon in der Zugehörigkeit einer Organisationsform und in der Erfüllung bestimmter Gebräuche besteht, oder in dem intellektuellen Fürwahrhalten irgendwelcher Lehren sondern in der unser ganzes Leben bestimmenden Haltung, die vor langer, langer Zeit die gewaltigste Gestalt der Weltgeschichte uns in der Bergpredigt und in ihren Gleichnissen gepredigt und, was das Entscheidende gewesen ist, unbekümmert um das eigene Schicksal bis in ihr Sterben hinein vorgelebt hat. Denn sich zu einer Religion bekennen, heißt ja nicht, eine bestimmte Auffassung von Religion haben und eine Lehrmeinung über sie für richtig halten, sondern sie in der eigenen Geschichte und dem aus ihr folgenden Tun an sich selbst sichtbar und so im Alltag um uns und damit in der Welt wirksam werden lassen.“ (1963/229)

Grimme lebte diesen Glauben an das Gute im Menschen, an seine Wandlungs- und Lernfähigkeit! Er war ein Idealist, immer wieder enttäuscht von der Welt und den Menschen, die nicht so gut waren, wie er sie gerne sehen wollte. Er war kein taktierender Politiker, nicht der Interessenvertreter einer Partei. Seine geistige Souveränität mußte ihn an der zunehmenden Verstrickung des NWDR in politische Machtkämpfe als Generaldirektor scheitern lassen, wie er auch in den Ministerien mit seinen Ideen zwar immer auf höchste Anerkennung, doch vergleichsweise selten auf produktive Unterstützung bei der Durchführung gestoßen ist.

In der Zeit nach dem Kriege, als es noch auf breiterer Basis die Hoffnung gab, neu beginnen zu können, konnte der Idealist Grimme Gehör finden für seine Gedanken. Heute, – wo diejenigen einflussreich sind -, die zur Schule gingen als er niedersächsischer Kultusminister war, kann man seiner Gradlinigkeit gedenken … und sie vermissen. Es scheint, als habe sie sich überholt.


Die Literaturangaben beziehen sich – wenn nicht anders angegeben auf: Adolf Grimme-Briefe, Hrsg. Dieter Sauberzweig, Heidelberg, 1968.

Die erste Zahl in den Klammern gibt jeweils das Entstehungsjahr des Briefes an, die zweite die laufende Nummer im Buch. Da die Gefängnisnotizen und die einleitenden Vorworte der einzelnen Kapitel nicht durchnumeriert sind, wurden in diesen Fällen jeweils nur die entsprechenden Seitenzahlen angegeben.

Nicht gekennzeichnete Zitate sind dem Material entnommen, das Frau Josefine Grimme dem „Geheim Preußischen Staatsarchiv, Berlin“ aus dem Nachlaß ihres Mannes übergeben hat.

Juliane Eisenführ, Norddeutscher Rundfunk


ZEITTAFEL ADOLF GRIMME

  • 1889 Am 31. Dezember in Goslar/Harz geboren
  • 1896 – 1908 Volksschule Weferlingen, Gymnasium Sangershausen und Hildesheim
  • 1908 – 1914 Studium der Philosophie und Germanistik an den Universitäten Halle, München, Göttingen
  • 1914 Lehramtsexamen in Philosophie, Germanistik, französischer Philologie und Religion
  • 1915 – 1919 Kandidat des Höheren Lehramts, danach Studienassessor in Leer
  • 1919 – 1923 Studienrat in Hannover
  • 1923 – 1924 Studien- und Oberstudienrat im Provinzialschulkollegium Hannover
  • 1925 – 1927 Oberschulrat in Magdeburg
  • 1928 – 1929 Ministerialrat im Preußischen Kultusministerium
  • 1929 – 1930 Vizepräsident des Provinzialschulkollegiums von Berlin und der Mark Brandenburg
  • 1930 – 1932 Preußischer Minister für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung
  • 1932 Goethe-Medaille für Kunst und Wissenschaft
  • 1942 – 1945 Zuchthaus Luckau und Fuhlsbüttel („wegen Nichtanzeige eines Vorhabens des Hochverrats“)
  • 1945 – 1946 Leitender Regierungsdirektor der Hauptabteilung Kultur des Oberpräsidiums in Hannover
  • 1946 – 1948 Kultusminister des Landes Hannover bzw. Niedersachsen
  • 1946 – 1948 Vorsitzender der Barlach-Gesellschaft (seit 1956 Ehrenmitglied)
  • 1946 – 1957 Vorstandsmitglied der Deutschen Shakespeare-Gesellschaft
  • 1948 Ehrendoktor der Philosophischen Fakultät der Georg August-Universität Göttingen
  • 1948 Verwaltungsvorsitzender des Nordwestdeutschen Rundfunks, Hamburg
  • 1948 – 1956 Generaldirektor des Nordwestdeutschen Rundfunks, Hamburg und Köln
  • 1948 – 1956 Vorstandsmitglied des Deutschen Bühnenvereins
  • Seit 1948 Präsident der Studienstiftung des deutschen Volkes
  • Seit 1948 Senator der Max-Planck-Gesellschaft
  • 1948 – 1962 Vorstandsvorsitzender bzw. Mitglied des Vorstandes der Stiftung Deutsche Landerziehungsheime, Hermann Lietz-Schule
  • 1949 Goethe-Plakette der Stadt Frankfurt am Main
  • Seit 1949 Ordentliches Mitglied der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung, Darmstadt
  • Seit 1949 Ehrenmitglied der Deutschen Gesellschaft für Erziehung und Unterricht, München
  • 1950 Mitglied des Deutschen Ausschusses für UNESCO-Arbeit
  • Seit 1951 Mitglied der Deutschen UNESCO-Kommission
  • Seit 1953 Ehrenmitglied der Fernseh-Technischen Gesellschaft, Darmstadt
  • 1954 Großes Bundesverdienstkreuz mit Stern
  • Seit 1954 Korrespondierendes Mitglied des Deutschen Rates der Europäischen Bewegung
  • Seit 1957 Beiratsmitglied der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung, Darmstadt
  • Seit 1959 Mitglied des P.E.N.
  • 1963 Am 27. August in Degerndorf gestorben.

Impressum
Leitinformationen zu einer Ausstellung über das Leben und Wirken von Adolf Grimme

Herausgeber:
Norddeutscher Rundfunk (NDR), in Zusammenarbeit mit dem Adolf-Grimme-Institut (agi) des Deutschen Volkshochschul-Verbandes e.V.

Redaktion:
Juliane Eisenführ (NDR)
Dr. Ulrich Spies (agi)

Texterstellung:
Ramona Langenheim (agi)